Anmerkungen zur WeltoffenheitErfahrungsbericht

Aufnahme eines vollen Seminarraums in einer Hochschule.
Prof. Dr. phil. Omar Khaled Sahrai berichtet über seine Erfahrungen an der HSPV NRW

Arbeiten an der HSPV NRW vor dem Hintergrund interkultureller Erfahrungen

Im WOH-Konzept der HSPV NRW ist festgehalten, dass sie sich für eine „weltgewandte und diskriminierungsfreie Hochschule“ einsetzt. Dieser Anspruch der Weltoffenheit ist gerade für eine Ausbildungsstätte von Personen mit Beamtenstatus sowohl richtig als auch relevant. Gleichzeitig ist anzunehmen, dass es sich dabei nicht um zeitgemäße Floskeln handelt, sondern um ein ernsthaftes Bestreben, dem gesellschaftlichen Pluralismus mit Verfassungsrang gerecht zu werden. Dabei soll jeglicher Art gruppenbezogener Menschenfeindlichkeit und Diskriminierung entschieden entgegengetreten werden und gleichzeitig die Internationalisierung (unter anderem internationaler Austausch von Studierenden, Lehrenden und Mitarbeitenden) der HSPV NRW vorangetrieben werden. 

Die Frage, inwieweit ich als langjähriger Lehrbeauftragter am HSPV-Studienort Bielefeld vor dem Hintergrund meiner Herkunftskultur Lehre, Forschung und Praxis an der HSPV NRW wahrnehme und wie weltoffen die Hochschule tatsächlich ist, ist schwer zu beantworten. Die Herausforderung besteht in erster Linie nicht in der Beschreibung der Sachverhalte, sondern zunächst in der Festlegung der Perspektive selbst. Beschreibe ich den Grad der Weltoffenheit der Hochschule aus der Perspektive eines Lehrenden, eines Soziologen oder vielmehr aus Sicht einer Person, die seine Kindheit in Afghanistan verbracht hat und seit seiner späten Sekundärsozialisationsphase in Deutschland ansässig ist?

Genau hier beginnen die Schwierigkeiten, denn meine Erfahrungen müssen nicht deckungsgleich sein mit den Erfahrungen von anderen anderskulturell und/oder als PoC (Person of Colour) konnotierten Personen. Anders ausgedrückt: Wenn ich weder an der HSPV NRW noch in der deutschen Gesellschaft diskriminierende und rassistische Erfahrungen gemacht habe, bedeutet das keinesfalls, dass andere davon nicht betroffen sind. Am Standort Bielefeld ist mir kein diskriminierendes Verhalten aufgefallen – weder mir gegenüber, noch gegenüber jemand anderem. Ganz im Gegenteil, selten ist mir in dieser Hinsicht eine derartig gelebte Weltoffenheit begegnet. Doch wie gesagt, meine Perspektive und meine Erfahrungen können nicht verallgemeinernd gültig sein. Manchmal genügen Differenzen in der Aussprache, im äußerlichen Erscheinungsbild, das Bekenntnis zu einer Religion, politische Ansichten, Inhalte eines Gespräches, subtile Wahrnehmungen des Gegenübers oder der zeitliche sowie räumliche Zufall. Zudem können zuschreibende und hierarchisierende Relevanzen des Gegenübers Ein- und Ausschlussprozesse aktivieren.

Da Erfahrungswerte nicht ausreichen, um die Weltoffenheit einer Hochschule unter Berücksichtigung meiner Herkunftskultur zu beurteilen, sind einige Anmerkungen aus der Distanz objektiv hilfreich. Ein Teilbereich der Weltoffenheit drückt sich darin aus, ob ein diskriminierungsfreies Umfeld vorherrscht. Dies habe ich bereits bejaht, zur Validierung bedürfe es allerdings der Erhebung empirischer Daten.

Positiv hervorzuheben ist, dass beim Verdacht auf Ausgrenzung oder Extremismus Studierende, Lehrende und die Verwaltung sensibilisiert sind und sich Personen mit menschenfeindlichen Einstellungen rechtlich und moralisch entgegenstellen. Bemerkenswert ist zudem, dass bei den Studierenden im Studiengang Polizeivollzugsdienst (PVD) die Zahl der Menschen mit Migrationshintergrund kontinuierlich dank der politischen Anstrengungen und Umstellungen in der Personal-Rekrutierung zunimmt. Im Verwaltungsdienst könnten ähnliche Anstrengungen unternommen werden, um mehr anderskulturell konnotierte Menschen für die Hochschule und spätere Verwaltungsarbeit zu gewinnen. Gleiches gilt für Mitarbeitende aller Statusgruppen: Lehrbeauftragte, Verwaltungsmitarbeitende (insbesondere in Leitungspositionen) und Professorinnen und Professoren. Warum ist eine gegebene Diversität besonders an Hochschulen wichtig?

In vielen Modulen lehren wir den Studierenden, dass die Welt sich verändert hat. Globalisierung, Migrationsbewegungen, Digitalisierung, Wertewandel etc. verändern und bestimmen unser Leben immer mehr und wir müssen uns dem anpassen. Die Politik muss immer wieder neuen Herausforderungen begegnen, die Wissenschaft neue Forschungsfragen entwickeln und Institutionen wie die Hochschule müssen sich justieren, neue Strukturen entwickeln und neue Prozesse anstoßen. Insbesondere aber muss eine Hochschule Studierende auf die neuen Herausforderungen und gesamtgesellschaftlichen Veränderungen vorbereiten, theoretisch wie praktisch. Um aber mit Veränderungen Schritt halten zu können, müssen Prozesse, Lehrinhalte, Strukturen, Curriculum und Selbstverständnis insgesamt ständig aktualisiert werden.

In vielerlei Hinsicht – beispielsweise mit Blick auf Lehrinhalte und Module – haben diese Veränderungen bereits stattgefunden. In der Personal- und Alltagspolitik müssen die Anstrengungen größer werden. Denn weiterhin werden beispielsweise türkische Sprachkenntnisse, das Wissen über andere Kulturen und Länder oder Migrationserfahrungen häufig nicht als gelebte Praxis, sondern als in Passung zu bringende Herausforderungen gesehen und somit entwertet, anstatt dass der Mehrwert gerade in unserer pluralen Gesellschaft adäquat anerkannt wird. Hier bedarf es eines Kulturwandels. In der Anwerbung von Mitarbeitenden könnte daher noch stärker ein Schwerpunkt auf die Berücksichtigung von Menschen mit Migrationshintergrund gesetzt werden. Benötigen Studierende nach dem Studium Englischkenntnisse oder Türkischkenntnisse, um ihre Arbeit in der hiesigen diversen kulturellen Gesellschaft und einer globalisierten Welt angemessen ausführen zu können? Würden solche Überlegungen verstärkt die Kriterien der Personalauswahl bestimmen, sorgten sie für mehr Diversität und folgerichtig zu einem weiteren Schritt für mehr Weltoffenheit in der akademischen Welt.